„Warum geht es denn da vorne nicht vorwärts?“ Mein Vater und ich stehen in der Schlange vor der Security im Flughafen von Manchester. Wir waren zur Weihnachtsfeier eines langjährigen Geschäftspartners und Freundes eingeladen, jetzt soll es zurück in die Heimat gehen. In der Schlange etwas weiter vor uns versucht ein Security-Mitarbeiter zwei Asiaten zu erklären, was er von ihnen möchte: Schlüssel, Hosengürtel, Schuhe, alles Metallische soll in die kleine Plastikkiste. Der Security-Mitarbeiter versucht mit Händen und Füßen, sich verständlich zu machen – aber die beiden Asiaten verstehen kein Wort. Verstehen nicht, was er von ihnen will.
Früher, so geht es mir durch den Sinn, vor noch gar nicht so langer Zeit, hätte ich gedacht: Was sind das denn für komische Leute? Warum verstehen die die einfachsten Dinge nicht? Was sind das für aus der Welt gefallene Exoten? Früher. Heute denke ich anders darüber. Heute sehe ich diese Szene sogar mit einem kleinen bisschen Wehmut. Denn ich denke an meine erste Indienreise. Da war ich komplett ohne Sprachkenntnisse unterwegs, ohne die geringste Ahnung von diesem Land zu haben (über ein paar Erlebnisse auf dieser Reise schreibe ich hier).
Damals war ich der Exot.
Ich finde es wichtig, aus dem Zentrum zu geraten
Und ich mag es, ein Exot zu sein. Wie zum Beispiel, als ich im vergangenen Jahr, ebenfalls zusammen mit meinem Vater, in Südkorea aus dem Flieger stieg. 95 Prozent der Mitreisenden waren Asiaten, mein Vater und ich praktisch die einzigen ‚Langnasen‘. Ich mag es, dann komisch, neugierig angeschaut zu werden, weil ich anders aussehe, mich anders verhalte, anders rieche. Warum? Weil es mir bewusst macht, dass Deutschland nicht der Nabel der Welt ist, dass Europa nicht der Nabel der Welt ist – dass ich nicht der Nabel der Welt bin. Schaut euch einmal in anderen Ländern Weltkarten an: In Europa werdet ihr Europa im Zentrum der Karte finden, in den USA die USA, in China China … Und je weiter weg ihr reist, umso weiter werdet ihr selbst aus dem Zentrum geraten, umso mehr werdet ihr ‚die anderen‘, ‚die Komischen‘, die ‚Exoten‘ sein. Dieses Gefühl habe ich immer geliebt. Aber es droht mir ein bisschen abhanden zu kommen.
Exot sein, das heißt für mich: meine Grenzen überwinden
Im letzten Jahr bin ich, wenn meine Berechnungen stimmen, insgesamt 2,8 Mal um die Welt gereist. Immer wieder in anderen Städten, in anderen Hotels aufgewacht. Da ist kaum noch etwas Spannendes, nichts Abenteuerliches mehr übrig geblieben. Heute weiß ich, wie das läuft im Flieger, ich weiß auf den Flughäfen, wo die Lounge ist, weiß, wie das Essen bei welcher Airline ist. Und manchmal, morgens im Hotel beim Frühstück, wenn ich nach meiner Zimmernummer gefragt werde, weiß ich sie nicht, weiß einen Moment lang nicht einmal, in welchem Hotel in welcher Stadt in welchem Land ich gerade bin. Von Exotik, von Abenteuer, von Überraschungen und von Grenzerfahrungen keine Spur.
Aber um genau die ging es mir immer, als ich begonnen habe zu reisen. Darum, meine eigenen Grenzen auszutesten. Dorthin zu gehen, wo ich mich überhaupt nicht auskenne, an Orte, die nicht schon von Touristen abgeklappert wurden, dorthin, wo die Menschen mich mit offenem Mund anstarren, weil sie jemanden wie mich noch nie oder nur ganz selten zu Gesicht bekommen. Nicht, weil ich das Gefühl brauche, etwas Besonderes zu sein, sondern weil ich an diesen Orten meine eigene Komfortzone verlassen muss, weil ich mich öffnen, auf Überraschungen gefasst machen muss. Weil ich an diesen Orten herausgefordert werde, dazulerne, mich weiterentwickle. Und deshalb werde ich auch in Zukunft immer wieder an solche Orte reisen, denn ich möchte diese Momente der Grenzerfahrung, in den ich der Exot bin, nicht vermissen.
Und ‚Reisen‘ verstehe ich hier nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinn, als meine Reise durchs Leben als Unternehmer meines Lebens. Denn auch hier suche ich immer wieder die Möglichkeit, meine eigenen Grenzen zu überschreiten.
Euer David
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