Die Frage nach eurem Vorbild -David Stammel

Tante Thea – oder: Die Frage nach eurem Vorbild

Wenn ich an meinen Opa denke, dann kommt mir auch Tante Thea in den Sinn. Tante Thea war nicht meine Tante. Ich nannte sie einfach so. Sie war eine Verwandte mütterlicherseits. Eine ältere, 1907 in Essen geborene Dame aus dem jüdischen Zweig meiner Familie. Eine der wenigen dieses Zweiges, die überlebt hatte. Thea Levinsohn-Wolf. Als ich klein war, war sie häufiger bei meinen Großeltern zu Besuch. Und das war für mich jedes Mal ein Erlebnis – ein Erlebnis, von dem ich euch heute erzählen möchte. Weil ich denke: Jeder sollte einen Menschen wie sie in seinem Leben haben. Und wenn ihr noch keine Tante Thea in eurem Leben habt, dann macht euch besser auf die Suche nach ihr … 

Meine Vorbilder im Ohrensessel

Von meinem Opa habe ich euch ja schon einige Male erzählt, in vielen Belangen eines meiner großen Vorbilder. Vor meinem inneren Auge sehe ich Opa in seinem großen Ohrensessel sitzen und „allen Menschen geduldig zuhören“, wie ich euch in meinem Buch geschrieben habe. Und ich werde nie vergessen, wie Tante Thea, wenn sie zu Besuch war, im anderen Ohrensessel bei meinem Opa saß. Und er ihr zuhörte. Alle ihr zuhörten. Ich ihr wie gebannt zuhörte, wenn sie vom Schicksal meiner jüdischen Verwandten berichtete. Von der Synagoge in Essen und der Reichskristallnacht. Wie es wenigen Verwandten von mir gelungen war, dem Holocaust zu entrinnen und sie es nach Übersee geschafft haben. Wenn sie aber auch ältere Familienanekdoten erzählte, wie etwa von der Begegnung ihres Urgroßvaters mit dem legendären Räuber „Schinderhannes“.

Was mir aber vor allem im Gedächtnis blieb und was sich mir als für mich vorbildlich eingeprägt hat, das war vor allem ihre Aura. Sie wurde für mich zum Vorbild, weil sie eine solche Präsenz hatte.

Warum jeder eine Tante Thea haben sollte

Tante Thea war ein knapp 1 Meter 50 großes Powerbündel. Sie hatte eine solche Energie und strahlte dabei eine enorme Ruhe aus. Sie hatte eine ganz spezielle Art zu erzählen. Sehr tief, emotional, aber nicht reißerisch. Unaufgeregt. Sie hat ihr ganzes Leben und Wirken als Krankenschwester in den Dienst der Menschen gestellt. Und so schrecklich auch war, was Menschen im Holocaust anderen Menschen angetan haben, sie hat nie die Menschen als solche verdammt. Sie behielt ihre Haltung und ließ sich auch von den Nazis nicht den Sinn ihres Lebens nehmen, Menschen aus tiefster Überzeugung und aus tiefstem Herzen, egal welcher Konfession oder Anschauung oder Nationalität, zu helfen.

Tante Thea (die übrigens auch ein Buch geschrieben hat) ist für mich ein solches Vorbild, weil sie für mich komplett authentisch war. Weil sie ihre Berufung gefunden hatte und die lebte. Ohne Maske. Mit viel Mut. Und deswegen denke ich, jeder sollte eine solche Tante Thea haben: Weil ein solches Vorbild mit seiner Aura euch in eurer eigenen Entwicklung stärkt. Weil ein solches Vorbild euch dabei bestärkt, zu dem zu werden, der ihr werden könntet, wenn ihr es schafft, ganz ohne Maske zu leben.

Mich an meinen Opa und an Tante Thea zu erinnern, ist für mich immer auch eine Erinnerung daran, wie wichtig es ist, mir klarzumachen, warum jemand für mich ein Vorbild ist: Weil ich dadurch meine eigene Werte klarer sehe, klarer sehe, welchen Weg ich schon gegangen bin oder welchen Weg ich noch gehen möchte. Wenn ihr euch die Frage nach euren Vorbildern stellt, stellt ihr euch die Frage nach dem Sinn eures Lebens. Wer ist also eure Tante Thea?

Euer David

 

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Zum Titelbild: Mein Titelbild zeigt Thea Levinsohn-Wolf in der Essener Synagoge, das Foto stammt aus ihrem Buch: Thea Levinsohn-Wolf, Stationen einer jüdischen Krankenschwester.

 

„Tante Thea hat mir einen Baum geschenkt, das ist die Urkunde dazu.“
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